Berlin

CSD 2010

Umworben und angefeindet

Flagge zeigen: Bis zu 500 000 Besucher werden am Sonnabend zum Christopher Street Day erwartet. Foto: dpa
Flagge zeigen: Bis zu 500 000 Besucher werden am Sonnabend zum Christopher Street Day erwartet.

von Iris Brennberger und Julia Haak

Berlin - Manchmal passen sogar lautstarke Demonstranten und Fünf-Sterne-Luxus zusammen. Zum Beispiel am Christopher Street Day, wenn halbnackte Männer mit Engelsflügeln die Straße des 17.Juni entlangziehen, wenn verwegen kostümierte Homosexuelle für ihre Rechte demonstrieren. Anschließend werden sich einige mit Champagner und Massagen verwöhnen lassen. Das Hotel Adlon, das eigens für dieses Wochenende ein Wellness-Angebot aufgelegt hat, ist jedenfalls ausgebucht.

41 Jahre sind vergangen, seit jener unseligen Polizeirazzia in New York, auf die der Christopher Street Day zurück geht. Seitdem wird weltweit demonstriert gegen die Diskriminierung von Homosexuellen – in Berlin immerhin zum 32. Mal an diesem Sonnabend. Viel hat sich seitdem geändert. Die belegten Betten des Berliner Spitzenhotels am Brandenburger Tor sprechen für sich.
Homosexuelle sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und aus Berlin, der Stadt, in der schon immer viele Schwule und Lesben lebten, ist spätestens seit Klaus Wowereits Outing 2001 die deutsche Schwulenmetropole geworden.
Berlin sei mittlerweile eines der beliebtesten Reiseziele für Homosexuelle aus aller Welt, heißt es bei der Berlin Tourismus Management Gesellschaft (BTM). Und man ist froh darüber. „Homosexuelle geben viel Geld aus, bleiben lange und reden darüber in E-Mails und Blogs, wie gut ihnen die Stadt gefallen hat“, sagt BTM-Sprecher Christian Tänzler. Perfekt aus Sicht des Tourismusmanagers. „Hotels, Restaurants, Entertainment, Einzelhandel – alle profitieren“, sagt Tänzler.

So auch das Adlon. Hier wacht Hotelmanager Markus Lück über die Bettenbelegung. „Die Schwulen- und Lesbenszene ist ein Markt, wo sehr viel Geld ist“, formuliert er ganz offen. Sein Haus wirbt seit Jahren um die Zielgruppe – mit wachsendem Erfolg. Ausgebucht war das Haus zum CSD bisher noch nie. Aber in diesem Jahr endet die Parade erstmals direkt vor der Haustür. Das Adlon hat sich ein „Wings of Luxury“-Special ausgedacht. 900 Euro kostet das Arrangement für zwei Nächte inklusive VIP-Einladungen für Partys.

Rund 300 000 Schwule und Lesben leben in der Hauptstadt – mehr als so manche deutsche Großstadt Einwohner hat. Sie prägen die Stadt. Es gibt eine schwul-lesbische Subkultur mit Lokalen, Beratungsstellen und Vereinen, es gibt schwule Ärzte, Rechtsanwälte, Hotels, Reisebüros und Altenheime für Schwule.
Nicht nur in der Kultur- und Medienszene, auch in der Politik gibt es so viele offen schwule Männer wie nie zuvor. Dazu hat vor allem das Selbst-Outing des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) beigetragen. Damals rieten ihm seine Mitstreiter noch ab, von dem Schritt. Heute müsse sich kein schwuler Politiker mehr verstellen, sagt Thomas Birk, Abgeordneter der Grünen. In allen Fraktionen des Abgeordnetenhauses gibt es mittlerweile offen schwule Abgeordnete, und das werde auch von den Wählern als normal empfunden. Klaus Wowereit sagt sogar: „Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Bürger heute keine Vorbehalte gegen Schwule und Lesben in hohen politischen Ämtern hat. Das gilt auch für höchste Staatsämter“.

Nicht mal in konservativen Kreisen werde Homosexualität noch verborgen, sagt Matthias Steuckardt, Vorsitzender des Berliner Arbeitskreises Lesben und Schwule in der Union (LSU). Vor zehn Jahren sei es in der Berliner CDU unmöglich gewesen, sich zu outen, vor fünf Jahren noch schwierig, heute normal. Drei von sechs CDU-Bundestagsabgeordneten kommen zum CSD.
Anders sieht die Situation bei den Frauen aus. Bekennende Lesben sind auch in der Berliner Politik rar. „Ich bin offiziell die einzige Lesbe im Abgeordnetenhaus“, sagt Anja Kofbinger von den Grünen. „Aber mal ganz ehrlich: Das kann nicht sein.“ Warum sich Lesben nicht outen, kann sie sich auch nicht erklären. Gesellschaftliche Diskriminierung hätten sie wohl kaum zu befürchten. „Eher könnte es an den verkrusteten Parteistrukturen liegen“, sagt sie. „Etwa, dass Lesben befürchten, dass sie bei der Vergabe der Listenplätzen schlechter abschneiden würden.“ Dass Lesben im Berliner Leben generell weniger präsent sind als schwule Männer liege aber auch an der weiblichen Sozialisation: „Frauen drängen nicht so in die Öffentlichkeit.“

Im Arbeitsleben spielt es häufig keine große Rolle mehr, ob ein Mitarbeiter homosexuell ist. Viele Firmen engagieren sich auch gegen Homophobie, etwa die Berliner Stadtreinigung oder die Verkehrsbetriebe. Die BVG nimmt schon seit 2001 mit einem eigenen Wagen am CSD teil. Bei der BSR gibt es eine Dienstvereinbarung gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz. Andere Unternehmen werben gezielt bei Messen oder auf dem Lesbisch-Schwulen Stadtfest um homosexuelle Mitarbeiter. Bei der Deutschen Bank gibt es die Rainbow Groups, ein Netzwerk homosexueller Mitarbeiter. 55 Mitglieder hat die Berliner Regionalgruppe. Die Gruppen signalisierten den Mitarbeitern, dass in einem global agierenden Haus wie diesem sexuelle Orientierung für die Karriere keine Rolle spiele – ebenso wenig wie die Nationalität, die Hautfarbe oder das Geschlecht, sagt Andrea Maiweg von der Personalentwicklung der Deutschen Bank. Zugleich spreche man so homosexuelle Kunden an. Dennoch gibt es in der Wirtschaft Nachholbedarf: Offen schwule Top-Manager sind rar.
Noch größer ist das Defizit im Sport. Obwohl sich beispielsweise der Berliner Fußball-Verband und Hertha BSC offiziell im Bündnis gegen Homophobie engagieren, hat sich noch kein Berliner Fußballer als schwul geoutet.

Manchmal täuscht eben auch das Image von der Schwulen-Metropole. „Es gibt eine Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen“, sagt Thomas Birk von den Grünen. Für viele Berliner sei Homosexualität inzwischen völlig normal, aber es gebe in der Stadt eben auch Bevölkerungsgruppen, für die Homosexualität noch immer ein Tabu ist.

So bleibt bei aller Freiheit eine Kehrseite, die sich auch in der Polizeistatistik ausdrückt. 2009 registrierte die Polizei 98 Fälle von Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung – mit steigender Tendenz. 67 waren es 2008 und 51 im Jahr 2007. Unklar bleibt, ob wirklich mehr passiert oder nur mehr angezeigt wird. Erst am vergangenen Wochenende wurde ein Homo-Paar in Treptow angegriffen und schwer verletzt. „Das ist erschreckend“, sagt LSU-Mann Matthias Steuckardt. Viele Homosexuelle hätten in Berlin nach wie vor Angst, angegriffen zu werden. Täter seien häufig Migranten, vor allem Muslime und Russlanddeutsche.

Homophobie sei unter Migranten verbreitet, sagt auch Gülhan Reifers von Miles, einem Projekt für homosexuelle Migranten des Lesben und Schwulenverbands – wobei Vorurteile eng mit dem Bildungsstand verknüpft seien. Sie drückten sich in Ignorieren, Ablehnung und offener Gewalt aus. Lesbische Frauen würden häufig nicht ernst genommen – „manche werden einfach verheiratet“, sagt Reifers. Homosexualität verletze in den Augen viele Migranten die Familienehre, Familien schämten sich für ihre schwulen Söhne oder lesbischen Töchter. Das Coming out bedeute für sie häufig, dass sie aus dem Familienkollektiv herausfallen.

Aber auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft gibt es Ewig-Gestrige. Der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer weist bei einem Drittel der Bevölkerung homophobe Einstellungen nach, sogar mit leicht steigender Tendenz.

Gegen Homophobie hilft letztlich nur Aufklärung. Da sind sich die Fachleute einig. Schon jetzt gibt es Projekte, die Mitarbeiter in die Schulen schicken und mit Jugendlichen über Homosexualität sprechen.

Im Februar hat der Senat 2,1 Millionen Euro für ein Programm gegen Homophobie bewilligt. 59 Maßnahmen sollen damit bis Ende 2011 finanziert werden. Für Thomas Birk war dies ein wichtiger Schritt. Niemand dürfe sich auf dem bisher Erreichten ausruhen, sagt der Grüne. „Jede Generation muss neu die Akzeptanz von Schwulen und Lesben erleben.“

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Parade, Partys, Prominente


500 000 Menschen
werden am Sonnabend zur Parade am Christopher Street Day erwartet. Schwule, Lesben, Trans- und Intersexuelle demonstrieren mit einem lautstarken, bunten Umzug in Berlin zum 32. Mal.

Die Parade startet um 13 Uhr am Kranzler-Eck, Kudamm/Ecke Joachimstaler Straße in Charlottenburg. 53 Wagen und elf Fußgruppen bewegen sich über Wittenbergplatz, Nollendorfplatz, Siegessäule zum Brandenburger Tor, wo um 16.30 Uhr die Abschlussfeier beginnt.

Mit dem Motto „Normal ist anders“ stellen die Veranstalter die gängige Einteilung in normal und abnormal in Frage. Gefordert wird unter anderem, dass intersexuellen und transsexuellen Menschen ein diskriminierungsfreies Leben ermöglicht wird. Teilnehmer sollen zum Umzug Engelsflügel mitbringen.

Das Finale beginnt um 16.30 Uhr am Brandenburger Tor mit Musik der Bands Boybanned aus Großbritannien und Kusinen aus Berlin. Um 18.30 Uhr werden die Philosophin Judith Butler und der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker für ihr Engagement mit dem Zivilcouragepreis ausgezeichnet.

Die CSD-Closing Party beginnt um 23 Uhr im Dice Club, Voltairestraße 5 in Mitte. Erwartet werden 2 000 Gäste. Weitere Partys: Maria am Ostbahnhof (Lesbenparty), An der Schillingbrücke, 21 Uhr; Die Busche, Warschauer Platz 18, 22 Uhr; International, Karl-Marx-Allee 33, Show 23 Uhr; Schwuz, Mehringdamm 61, 23 Uhr; Weekend-Club, Alexanderstraße 7, 23 Uhr, Insomnia, Alt-Tempelhof 17–19, Dresscode: Abendgarderobe, 22 Uhr; KitKat Club, Brückenstraße 1, 23 Uhr.

Sondersendungen rund um den CSD bringen das RBB-Fernsehen ab 22.15 Uhr, Radioeins ab 14 Uhr, 97,2 blu-fm ab 12 Uhr, der Offene Kanal am 22. und 23.6. ab 12.30 Uhr.

Berliner Zeitung, 18.6.2010


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